C D s
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NEUES AUS
DER MUSIKWELT
von Thomas Hintze
Aus seiner umfangreichen CD-Sammlung
fischt der Jazz-Kenner und -Liebhaber
Thomas Hintze für die STEREO-Leser jeden
Monat die schönsten Schätze. Im Folgenden
widmet er sich den Standards.
V
Meine Jazz Standards
W illow Weep For Me
и
A
us der Feder von Komponistin-
nen stam m en nur äußerst sel-
ten Stücke, die den W eg als Stan-
dard in die Jazzgeschichte gefun-
den haben: Der weibliche Part ist
hier ebenso unterrepräsentiert wie
in der klassischen Musik. Eine Aus-
nahm e bildet zwar Anne Ronell,
eigentlich Anna Rosenblatt, doch
„W illow Weep For M e“ ist auch ihr
einziger Beitrag, der von den Jazz-
m usikern aber begeistert aufge-
nom m en w urde. Übrigens w idm e-
te sie diesen Song ihrem Förderer
George Gershwin. Es ist ein eher
sentim entales Lied m it Bezug auf
die Trauerweiden, und so landete
der Titel zunächst bei dem Orches-
ter Paul W hitem an - heute w ür-
den w ir dessen Fassung w ohl als
Schnulze bezeichnen. Aber Jazz-
m usiker lassen sich von Texten
nicht beirren, wenn sie einen Nar-
ren an der Musik gefressen haben.
Wenn ich an „W illow Weep For
M e“ denke, fällt m ir sofort die
Fassung von
Louis Armstrong
und
Oscar Peterson
ein, mit der
ich dieses M al beginnen möchte.
Generell finde ich die Frage nach
teilen sich Peterson und Brown,
dann aber stellt Armstrong mit sei-
ner unverwechselbaren Reibeisen-
stim m e „W illow W eep For M e“ vor.
G roßartig, w ie er später m it der
Trompete einsteigt, um dann den
Titel m it seinem Gesang zu be-
schließen. Was Peterson mit sei-
nen Leuten m usiziert, das swingt
aus allen Knopflöchern. So bleibt
nur zu verm erken, dass hier zwei
M usiker aus gegensätzlichen Stil-
richtungen eine Schnittm enge ge-
funden haben: die Standards.
vorgestellt, John Lewis tupft im Hin-
tergrund einige Akkorde auf dem
Klavier an, während Percy Heath
(Bass) und Connie Kay (Schlagzeug)
einen dezenten Beat dazusteuern.
Man hat die Darbietung des MJQ
damals in Anlehnung an die Klas-
sik als „kammermusikalischen Jazz“
tituliert, heute gilt die Bezeichnung
als überholt. Viele der Titel stam -
men von John Lewis, so auch der Ti-
telsong „Fontessa“. Eine großartige
Platte aus dem Jahre
1 9 5 6
in toller
Klangqualität.
gie aus, die wie eine Befreiung aus
der kommerziellen Umklammerung
in der USA klingt. In Europa muss-
ten diese Jazzer nicht um Anerken-
nung buhlen, sondern spielten ihre
Musik mit großem Selbstverständ-
nis. Dexter Gordon bläst „W illow
Weep For M e“ ohne jegliche senti-
mentale Attitüde, sondern kraftvoll,
direkt, als ob es den schmachten-
den Text dazu nie gegeben hätte.
Der großartige Bud Powell steu-
ert ebenso ein Solo bei wie Pierre
M ichelot (Bass), während Kenny
Clarke das Tempo vorgibt. Auch die-
se Platte ist für mich etwas Beson-
ders, und es verwundert mich nicht,
dass sie in diversen Fassungen für
Vinyl und CD vorliegt. Die CD wurde
übrigens von Rudy van Gelder
2 0 0 3
persönlich rem astert.
Wynton Kelly
gehört zu meinen
Favoriten unter den Pianisten, war
er doch vier Jahre lang Mitglied der
Gruppe von Miles Davis: Damals
entstanden wunderbare Einspielun-
gen mit ihm und seinen Kollegen
Paul Chambers (Bass) und Jimmy
Cobb (Schlagzeug). Doch dann
machte er sich mit den dreien als
Louis Armstrong, Oscar Peterson:
Louis Armstrong Meets Oscar Peterson
The Modern Jazz Quartet: Fontessa
Dexter Gordon: Our Man In Paris
Wynton Kelly Trio, Wes Montgomery:
Complete Live At The Half Note
der Platte für die einsam e Insel
reichlich merkwürdig, aber wenn
ich gezw ungen w äre, mich zu
entscheiden, würde
„Louis Arm-
strong Meets Oscar Peterson“
(Verve) unbedingt dazugehören.
Sie wurde
1 9 5 7
eingespielt, zw i-
schen den beiden berühmten Plat-
ten von Louis Arm strong m it El-
la Fitzgerald. Es w ar schon eine
blendende Idee des Produzenten
Norman Granz, Armstrongs Gesang
und Trompetenspiel mit dem swin-
genden Peterson Q uartett zu kom-
binieren. Neben Peterson am Kla-
vier finden w ir Ray Brown (Bass),
Herb Ellis (Gitarre) und Louie Bell-
son (Schlagzeug). Die Einleitung
Das
Modern Jazz Quartet
hatte im
Jazz eine Art Sonderstellung. Beim
Jazzpublikum traf es zunächst auf
Unverständnis, traten die M usiker
doch im Smoking mit präzise arran-
gierter Musik auf - zu einer Zeit, wo
der Jazz gerade in verrauchten Kel-
lern angekommen war. Doch dann
spielten sich die vier M usiker mit
wachsendem Erfolg in die Herzen
der Jazzer. Heute kann ich mir eine
Jazzsammlung ohne das Modern
Jazz Quartet und deren Platte
„Font-
essa“
(Wax Time) nicht vorstellen.
In dem Fall em pfehle ich Ihnen die
Vinylfassung, auch wenn es natür-
lich CDs gibt. „Willow Weep For M e“
wird vom Vibrafonisten M ilt Jackson
Die „klassischen“ Aufnahmen des
Labels Blue Note wurden in New
York bei Rudy van Gelder gemacht.
Die CD
„Our Man In Paris“
von
Dex-
ter Gordon
bildet insofern eine Ra-
rität, als dass die Einspielung
1 9 6 3
im CBS-Studio in Paris erfolgte. Es
w ar die Zeit, als sich einige hervor-
ragende amerikanische Jazzmusiker
in Europa niedergelassen oder dort
zum indest vorübergehend gelebt
haben. Hierzu gehören neben dem
Tenorsaxofonisten Dexter Gordon
auch Bud Powell (Klavier) und Ken-
ny Clarke (Schlagzeug). Der hervor-
ragende französische Bassist Pier-
re M ichelot machte das Quartett
komplett. Die CD strahlt eine Ener-
W ynton Kelly Trio selbstständig.
Hinzu kam machm al ein w eiterer
Solist, wie auf der Doppel-CD
„Live
At The Half Note“
(Phönix), wo der
Gitarrist Wes Montgom ery auf CD
1
seinen Part hat und damit auch bei
der Aufnahme von „W illow Weep
For M e“. Das Spiel des erweiterten
Trios ist von herrlicher Leichtigkeit,
ihnen zuzuhören bedeutet ein pu-
res Vergnügen. Und weil das Kelly
Trio eine eingespielte Formation ist,
kann sich Montgom ery voll entfal-
ten. Unter dem Titel „Sm okin’ At
Half Note“ (Verve) gibt es die CD
1
übrigens auch einzeln als CD oder
SACD. Viel Spaß beim Hören, Ihr
Thomas Hintze.
138 STEREO 11/2014
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